Digitale Verwaltung: Sind Bürger und Beamte bereit?
Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist dank des Onlinezugangsgesetzes (OZG) beschlossene Sache. Doch wie fit sind Beamte und Bürger für die digitale Zukunft? Ein Blick auf beide Seiten zeigt, wer schon über die nötigen Skills verfügt – und wo es noch Nachholbedarf gibt.
Den neuen Personalausweis per Mausklick beantragen, das Auto in wenigen Minuten via Smartphone ummelden oder die Hundesteuer über das heimische Tablet anmelden – ab 2022 sollen sämtliche Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland online verfügbar sein. So schreibt es das OZG vor. Für die Bürger liegen die Vorteile auf der Hand: Der lästige Gang zum Bürgeramt inklusive langer Wartezeiten für einen Termin entfällt. Die Mitarbeiter der Behörden wiederum profitieren von der reduzierten Arbeitsbelastung und Bürokratie.
Doch wie gut sind sowohl Bevölkerung als auch Personal auf den digitalen Umschwung vorbereitet? Haben die Bürger überhaupt die nötigen Kompetenzen, um das digitale Amt richtig zu nutzen? Und sind die Behördenmitarbeiter ausreichend im Bedienen neuer Tools und Software geschult, damit die Umsetzung des OZG gelingen kann?
Wie es um die Digitalkompetenzen der Deutschen steht, wurde erst kürzlich in einer groß angelegten Studie der Initiative D21, des größten gemeinnützigen Netzwerks Deutschlands für die digitale Gesellschaft, bestehend aus Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. In der Studie „Digital Skills Gap“ nimmt die Initiative die Digitalkompetenzen der Bevölkerung unter die Lupe – auch mit Blick auf die Nutzung digitaler Verwaltungsdienstleistungen. Das Ergebnis: Der Großteil der Bürger hat zwar hohe Anwendungskompetenzen und nutzt digitale Anwendungen und Geräte souverän, jedoch verstehen nur wenige die dahinterliegenden Mechanismen und Zusammenhänge. Thomas Langkabel ist National Technology Officer bei Microsoft Deutschland und Vizepräsident der Initiative D21. Er ist der Meinung: „Die deutsche Bevölkerung selbst ist wohl besser auf die digitale Verwaltung vorbereitet als andersherum die Verwaltung auf die Erwartungen der Bürger an sie.“
Die Ergebnisse der „Digital Skills Gap“-Studie belegen: Inzwischen zeigt ein Großteil der Bevölkerung die grundsätzliche Bereitschaft, digitale Anwendungen im Verwaltungsbereich zu nutzen. Dies sei vor allem der Fall, wenn Bürger einen tatsächlichen Nutzen in der digitalen Inanspruchnahme von Verwaltungsdiensten erkennen könnten. Vorteile wie Zeitersparnis, Aufwandsreduzierung oder die intuitive Nutzbarkeit – das sind laut Langkabel die Treiber, die die Online-Verwaltung erfolgreich machen können.
Mitarbeiter als Motor der Verwaltungsdigitalisierung
Doch klar ist auch: Die Digitalisierung unserer Verwaltung kann nur gelingen, wenn auch die Mitarbeiter in den Behörden und Ämtern den Wandel mittragen. Sie müssen weitergebildet und im Umgang mit neuen Tools geschult werden. Und: Ihnen muss der Nutzen der neuen digitalen Anwendungen klar werden. Doch genau daran hapert es vielerorts noch. Zum einen, weil durch den föderalen Aufbau der Verwaltung viele unterschiedliche Systeme und Programme existieren. Zum anderen, weil bei vielen Mitarbeitern schlicht die nötigen Fähigkeiten zum Umgang mit der Technik fehlen. Um das zu ändern, hat der Beauftragte für Informationstechnik der Bundesregierung sowie Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat, Dr. Markus Richter, im Mai 2020 einen klaren Fahrplan für die Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung vorgelegt. In diesem Neun-Punkte-Plan benannte Dr. Richter wichtige Eckpfeiler, die die Digitalisierung in Deutschland voranbringen soll. Ganze fünf der neun Schwerpunkte beziehen sich dabei auf den Bereich der digitalen Verwaltung. So ist es laut Dr. Richter beispielsweise nötig, agile und innovative Arbeitsweisen zu etablieren, verwaltungsinterne Prozesse zu digitalisieren oder Schulungsangebote zu digitalen Fähigkeiten für Behördenmitarbeiter. Dies betonte Dr. Richter auch kürzlich in einem Interview mit der Bundesdruckerei.
In der Realität scheitert die Digitalisierung in den Behörden aber oft auch an der Einstellung der Beteiligten. Eine offene Fehlerkultur ist in vielen Verwaltungsinstitutionen schlicht nie etabliert worden, die Furcht vor „falschen“ Entscheidungen ist daher groß, so Dr. Richter: „Die Angst vor dem Pranger macht es paradoxerweise besonders schwer, sich von nicht funktionierenden Konzepten zu verabschieden – sogar dann, wenn längst eine bessere Lösung existiert. Ich möchte dazu beitragen, dieser Angst zu begegnen.“ Dafür hat der Bundes-CIO zum Beispiel Digitalisierungslabore eingerichtet, in denen sich Verwaltungsmitarbeiter ausprobieren können.
Nutzer wollen es einfach und trotzdem sicher
Aufseiten der Bevölkerung sind es eher andere Fakoren, die die Nutzung der digitalen Verwaltung behindern könnten. Nach anfänglicher Euphorie der Nutzer folge oft Enttäuschung aufgrund zu hoher Komplexität, schwer verständlichen „Verwaltungs-Sprechs“ oder mangelnder Usability der Online-Verwaltungsdienstleistungen, sagt Thomas Langkabel. „Die Einfachheit, die Nutzer durch die Identifikation mit dem Smartphone oder durch die Nutzung von Wallets inzwischen kennen, verlangen Nutzer auch im Umgang mit der Verwaltung. Fast jeder Zweite in unserer Studie eGovernment MONITOR 2021 zeigt Interesse an der Speicherung der Ausweisdaten auf dem Smartphone – noch offener sind mit 62 Prozent die unter 30-Jährigen. Das zeigt, dass Berührungsängste sinken, wenn man etwas kennengelernt hat.“
Um Digitalqualifikationen zu stärken, muss nach Meinung Langkabels auch die Regierung in die Pflicht genommen werden. Im schulischen Bereich sowie in der Aus- und Weiterbildung müssten Digitalthemen besser verankert werden. Dabei ginge es nicht gleich um das Erlernen von Programmiersprachen, sondern um den Aufbau eines grundlegenden Verständnisses für Zusammenhänge, Begrifflichkeiten, Verantwortung, Potenziale und Risiken, die sich durch die Digitalisierung für alle Lebensbereiche und Berufsbilder ergeben. Das Alter der Nutzer spielt in Bezug auf ihre Digitalkompetenzen übrigens nur eine untergeordnete Rolle, stellt Langkabel klar. Es stimme nicht, dass alle sogenannten Digital Natives fit für die Digitalisierung seien und die ältere Generation ahnungslos und überfordert. Häufig sei die Frage der Digitalqualifikationen eher an das allgemeine Bildungsniveau und den sozialen Hintergrund gekoppelt. Richtig sei aber, dass gerade für ältere Menschen beim persönlichen Gang zum Amt auch das Vertrauensverhältnis eine Rolle spiele. Um noch mehr Menschen an die digitalen Verwaltungsdienstleistungen heranzuführen, sei es daher wichtig, Sicherheitsbedenken abzubauen und das Verständnis für Sichere Identitäten zu stärken.
Auch in einem weiteren Punkt sind sich Thomas Langkabel und Dr. Markus Richter einig: Sinnvolle digitale Verwaltungsleistungen sehen den Bürger und seine Bedürfnisse im Fokus. Dafür müssen die Verantwortlichen ihre Leistungen als Produkt verstehen – inklusive geeigneter Vermarktungskonzepte und anschließender Erfolgsmessung, sagt Thomas Langkabel: „Das Potenzial ist da, die Werkzeuge sind da. Jetzt muss nur noch das Umdenken stattfinden.“